09. Dezember 2014


Das Leben geht wohl weiter –

im Moment aber ohne uns 

 

von Antje Beyer

(Interview zum Thema "Abschied")

 

Geboren, um zu leben und nicht, um mit 24 Jahren zu sterben. Diese Worte stehen seit Tagen auf meinem Bildschirm. Ich möchte etwas schreiben, aber ich finde einfach keinen Anfang. Ich soll/möchte das aufschreiben, was so unfassbar ist und mit jedem geschriebenen Wort, welches dann für alle zu lesen ist, eine noch größere Endgültigkeit erlangen wird.

Unser Flo ist tot


Am frühen Abend des 15. November kommt er super gut gelaunt von der Arbeit nach Hause, will gleich noch mal los zu seiner Freundin Anke. „Ne Runde zusammen chillen,“ meint er. Seine letzten Worte: "Es wird nicht so spät werden, wenn doch rufe ich an..." Ein letzter Kuss, eine letzte Umarmung und weg ist er.

Nachts gegen 2 Uhr klingelt mein Handy. Ein Freund von Flo ist dran und will etwas mit mir bereden. Sehr komische Situation. Mir kommt nicht im Ansatz in den Sinn, dass irgendetwas mit Flo passiert sein könnte. Fünfzehn Minuten später steht Christoph vor mir, erzählt irgendetwas wie 'Flo sei bei Anke vom Balkon gefallen, es sei aber nicht so schlimm, man hätte ihn aber zum Check ins Krankenhaus Friedrichshain gebracht. Ich solle mir keine zu großen Sorgen machen, er wäre selbstständig zum Rettungswagen gelaufen und wäre orientiert und ansprechbar gewesen.'  Er gibt mir noch die Telefonnummer des Krankenhauses, damit ich nachfragen kann, ob er dort bleiben muss oder wir ihn abholen können.


Tolle Botschaft um 3:15 Uhr... . An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Ich wecke meinen Mann und wir beschließen, bis 3 Uhr zu warten und danach die Lage zu checken. Da klingelt erneut das Telefon. Der Polizeibeamte sagt, er riefe mich auf Bitten meines Sohnes an. Er solle Bescheid sagen, dass er einen Unfall hatte und ich mir aber keine Sorgen zu machen brauche. Gerade will ich irgendwie erleichtert aufatmen, als es an der Wohnungstür klingelt und zwei Polizeibeamte  mir im Grunde genommen nichts anderes erzählen: Flo hätte einen Schutzengel gehabt, eventuell kleine Verletzungen...

Danach folgen meinerseits dutzende Anrufe im Krankenhaus. Man verspricht mir, dass man mich sofort unterrichtet, wenn ein Untersuchungsergebnis feststeht, bittet mich aber darum, nicht zu kommen. Drei Stunden können eine Ewigkeit sein! Ich wollte einfach nur wissen, was genau los ist. Eine Mutter lässt sich nicht mit „nur leicht verletzt“ abspeisen.


Um 6.12 Uhr kommt der Anruf... und seit dieser Sekunde steht die Welt still.

Nichts von wegen leicht verletzt, nichts mit abholen – die Stimme bittet mich, sofort zu kommen. Auf meine Nachfrage was los sei, kommt der kurze Satz: "Ihr Sohn ist tot".


Oh mein Gott, was ist jetzt zu tun?! 

Alles, was von diesem Zeitpunkt an geschehen ist, kann ich kaum wiedergeben. Es war wie ein Film, ein Schleier, nichts war bewusst gesteuert, sondern alles lief mechanisch.


Wir fuhren sofort los. Unser jüngster Sohn musste auf dem Weg schnell zur Oma gebracht werden. Den Großeltern wollte ich es eigentlich nicht gleich sagen, aber ich bin dort regelrecht zusammen geklappt. Der weitere Weg zum Krankenhaus war völlig wortlos, ohne Konzentration auf den Straßenverkehr, absolut leichtsinnig, würde ich heute sagen.


Dann kam der Moment: Die Ärztin begrüßte uns, erklärte ziemlich zusammenhangslos irgendetwas, was so richtig keiner von uns beiden verstand. Ich wollte eigentlich bloß noch zu meinem Jungen.

 

Und da lag er dann, noch intubiert, die Augen ein klein wenig geöffnet, mein kleiner-großer Flo...

Mein Mann ertrug den Anblick nur wenige Augenblicke und ist dann wieder raus aus dem Zimmer. Ich weiß nicht, wie lange ich seine Hand gehalten, wie oft ich ihm übers Haar gestrichen oder was ich alles zu ihm gesagt habe – ich wollte und konnte nicht gehen. 


Mit einem Male fing mein Handy an, eine WhatsApp-Nachricht anzukündigen. Der Klingelton ist  "Astronaut" der Band Unheilig, normalerweise nur als Melodie angespielt, aber dort im Krankenhaus nicht. Das komplette Lied wurde wiedergegeben. Dieser Titel hat für mich eine wahnsinnige Bedeutung und ich habe immer zu meiner Familie gesagt, dass dieses Lied bitte zu meiner Beerdigung gespielt werden solle. Da stand ich am Bett meines toten Sohnes und mein Beerdigungslied läuft, völlig grotesk.

Irgendwann wieder zu Hause. Die Kinder wussten mittlerweile darüber Bescheid, was passiert war. Die ersten Freunde wurden informiert, unsere Wohnung war voller Menschen, ich weiß gar nicht mehr, wer alles da war. Es war aber alles so still, eine so erdrückende Ruhe, selbst die Hunde machten keinerlei Geräusche. Oh mein Gott, was ist jetzt zu tun?! Was muss man wo zuerst machen? Irgendwann stand diese Frage im Raum. Ein Bestatter war leicht gefunden, wir hatten einen im Bekanntenkreis. Das Absurde daran war, sein Sohn heißt auch Florian, ging in die gleiche Schule wie er, ging auf die gleichen Konzerte und hat mit der Freundin unseres Flos (bei ihr ist der Unfall passiert) zusammen Bestatter gelernt. Eine Konstellation, die irgendwie unglaublich ist.


Mein größter Wunsch war, meinen Flo noch ein letztes Mal sehen zu dürfen, am liebsten zu Hause. Ja, so etwas ist möglich – es macht nur nicht jeder Bestatter. Ich bin Frank Priepke so unendlich dankbar, dass er dies für uns möglich gemacht hat. Diese Stunden waren ein so unsagbares letztes Geschenk, dass ich hier bei dem Gedanken daran Tränen überströmt da sitze.

Eine Woche nachdem dieses Unfassbare geschehen ist, kam unser Flo nach Hause. Mit ein paar Handgriffen von allen wurde das Zimmer von seinem Bruder beräumt, so dass der Sarg Platz hatte. Mein Mann holte diverse Dinge in das Zimmer, die wichtig für unseren Flo waren. Wir stellten ganz viele Kerzen und Teelichter auf und einen riesigen Strauß Sonnenblumen. Seine Freundin war mit bei uns, als endlich der Bestattungswagen vorfuhr. Da war er nun noch ein letztes Mal, mein Baby...

 

 

Es war so bunt – das hätte ihm gefallen

Wir haben ihn so hergerichtet, wie er vorher war. Das heißt: Piercings rein und seine geliebten 40 mm-Tunnel in die Ohren. Er hatte seinen Lieblingspulli an, seine neue flippige Goa-Hose und seine Zehenschuhe. Die hatte er zehn Tage zuvor zu seinem 24. Geburtstag von uns bekommen, er war so stolz darauf.


Es kamen unglaublich Viele, um ihn noch einmal sehen und anfassen zu können, jeder hat ihm irgendetwas mitgegeben...


Meine letzten Minuten mit ihm waren am nächsten Morgen, ein letztes Mal mit ihm zusammen einen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen und meine unheilige Musik hören. Genauso, wie wir es so oft zusammen getan haben. Und genau hier zerreißt es mir das Herz! Das kann alles nur ein Scheiß-Traum sein. Das ist nicht real! Bitte, bitte, lass mich doch endlich aufwachen!

Wir haben den Südwestkirchhof Stahnsdorf als letzten Garten für ihn ausgesucht, mitten im Wald. Das hätte er cool gefunden, nichts was jeder hat oder kriegt. So war auch seine Beisetzung, er war etwas ganz besonderes und so sollte auch sein letzter Tag sein.


Die Beisetzung fand am 13.12.2013 um 13 Uhr statt. Das Datum ist so irre, wie das Ganze, was passiert ist. Die Kapelle war voll, es gab keinen Redner. Wir wollten niemanden reden hören, der unseren Flo gar nicht kannte. Wir haben uns entschlossen, drei Musiktitel, die ihm viel bedeuteten, zu spielen und Bilder von ihm dazu zu zeigen, was dank Laptop und entsprechendem Programm nicht allzu schwer zu lösen gewesen ist. Um Leinwand und Beamer kümmerten sich seine Freunde.


Am Grab hatten seine Freunde an seiner Stelle ein kleines Erinnerungsbäumchen aufgestellt. Die Äste waren bestückt mit Dingen, die Flo wichtig waren, viele davon waren gebastelt. Es waren so Viele gekommen, es war so bunt, ich glaub, das hätte ihm gefallen.


Heute, fast 11 Monate später, steht unser Leben noch immer still. Wir gehen in eine Trauergruppe, wo wir uns gut aufgehoben fühlen, machen eine Therapie – aber das Leben ist nicht mehr das Leben. Jetzt, wo wir wissen, was passiert ist, macht es uns das auch nicht gerade leichter, ganz im Gegenteil. Der Auslöser für seinen Balkonsturz war ein Zuckerschock. Gestorben ist er nach der Operation. Von Reanimierungs-maßnahmen wurde aufgrund der schlechten Prognose abgesehen.

 

Das Leben geht wohl weiter, im Moment aber ohne uns... Wo bist du, mein Flo?

Antje Beyer (45) lebt mit ihrer Familie in Berlin. Wir danken ihr, dass sie für die Aktion Lichtpunkt ihre noch so frische Geschichte und innersten Gedanken mit uns teilte.

Der Abschied ist nicht leicht zu gestalten - schon gar nicht, für einen jungen Mann, der gerade in sein Leben startet und schon überhaupt nicht, wenn man nicht mit dem Tod rechnet. Es liest sich tröstlich, dass ein "guter" Abschied möglich zu sein scheint. Zeit, Raum, persönliche Entscheidungen ... 

DANKE - liebe Antje! 

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Kommentare: 4
  • #1

    Anett (Dienstag, 09 Dezember 2014 17:35)

    Mein aufrichtiges Beileid! :'(
    Mir fehlen die Worte - und es gibt auch keine passenden …
    Ich schicke eine stille Umarmung und Kraft, um dieses andere Leben zu leben.

  • #2

    Astrid mit Jacob im Herzen (Dienstag, 09 Dezember 2014 18:35)

    Ich wünsche euch alle Kraft dieser Welt!
    Gemeinsam ist es erträglicher, wir helfen uns gegenseitig.

  • #3

    Andrea mit Denny im Herzen (Dienstag, 09 Dezember 2014 21:08)

    Mein aufrichtiges Beileid :'(
    Bei mir ist es 3,5 Jahre her und es tut genau so weh wie an dem Tag,als Denny aus unserem Leben gerissen wurde. Ich wünsche euch alle Kraft der Welt

  • #4

    Manja (Mittwoch, 10 Dezember 2014 19:32)

    Mir bleibt die Luft weg...es tut mir so leid. Ich wünsche euch viel Kraft und Liebe...ja das Leben steht still...oh gott. Euch alles liebe dieser Welt!